Stadtblatt Ausgabe I, März 2024

Evangelisches Gemeindehaus wir Büroloft

Gelebte Geschichte


Tragraum Innenhof, ehemaliges ev. Gemeindhaus

Die Umnutzung von Kirchen und Gemeindezentren ist eine Herausforderung: Zur Wertschätzung der oft denkmalgeschützten Architektur gesellt sich der Anspruch an eine Nachnutzung, die den Sakralraum würdigt. In diesem Sinne zeigt die Chronologie der Umnutzung des ehemaligen evangelischen Gemeindehauses in Bad Kissingen aus den 1960er Jahren, wie ein Gebäude mit viel Wertschätzung für die Historie und mit wenig Aufwand einer neuen Bestimmung zugeführt werden kann, wodurch der Lebenszyklus erheblich erweitert wird.
1. Erwerb und DenkmalschutzwertDaniel Dahinten, Partner von TRAGRAUM Ingenieure, war auf der Suche nach geeigneten Büroräumen für bis zu 15 Mitarbeitende des expandierenden Standorts in Bad Kissingen. Das Ziel dabei war dabei klar: die Räume sollten mit ablesbarer Materialästhetik oder architektonischer Gestaltung Raum für Kreativität bieten und gleichzeitig der flach angelegten Arbeitshierarchie des Unternehmens Rechnung tragen. Dazu war ihm ein Gebäude mit eigener Geschichte im Kontext der Stadt Bad Kissingen wichtig. Die Suche war erfolgreich: 2019 verkaufte die evangelische Gemeinde das Gemeindehaus, um einer Sanierung und weiteren Unterhaltskosten aus dem Weg zu gehen. Da das Gebäude damals noch nicht unter Denkmalschutz stand, gab es von anderen Kaufinteressenten Planungen zu Abriss und Errichtung eines 3-4-geschossigen Wohnungsbaus. Doch der damalige Verkäufer entschied sich für die Idee der Umnutzung von Daniel Dahinten und damit für den Erhalt des charaktervollen Gebäudes bzw. die Weiternutzung durch ein Ingenieurbüro.
Erste Auseinandersetzungen und Recherchen im Zuge der Planungen machten schnell deutlich, dass es sich um ein Gebäude von bedeutendem historischem Wert handelt. Lediglich das junge Alter des Gebäudes von nicht einmal 60 Jahren hatte offensichtlich bisher dazu geführt, dass es außerhalb des Fokus des Denkmalamtes gewesen war. Die besondere künstlerische Bedeutung, die sich in der Bausubstanz wie auch in der Innenausstattung zeigte, überzeugte auch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege (BLfD), das für eine Begehung und Bewertung hinzugezogen wurde. Hierbei fiel der sehr gute Substanzerhalt der Konstruktionen, Möbel und Oberflächen nach fast 60 Jahren Nutzung auf. So ging der Zustand nicht über gewöhnliche
Gebrauchsspuren hinaus, was auf die robuste Konstruktion sowie die Kalksandsteinoberflächen im Inneren wie im Äußeren zurückzuführen ist. In der Folge wurde das Gebäude im Jahr 2021 unter Denkmalschutz gestellt. Diese besondere Würdigung stellte einen Meilenstein für die weitere Geschichte des Gebäudes und eine
Wertschätzung des Vorhandenen dar. Und die geplanten Umbaumaßnahmen konnten so von Anfang an unter Berücksichtigung der baukünstlerischen Bedeutung in Abstimmung mit dem Denkmalamt erfolgen. Allerdings gingen mit dem Denkmalschutz auch ein erhöhter Planungsaufwand und die Notwendigkeit von intensiven Abstimmungen einher. Jeder Schritt wurde zusammen mit den Architekten sorgfältig geplant und Vorentwürfe wurden erarbeitet. Selbst die dunklen Grüntöne der Farbfassungen der Holzeinbauten und die Nut- und Federbretter der Abhangdecken sollten bewahrt werden. Bauherr Daniel Dahinten reflektiert diesen Prozess: „Teilweise habe ich mir schon gewünscht, diesen Weg nicht gegangen zu sein. Man hätte viel schneller und einfacher ohne den Abstimmungsaufwand und ohne die entsprechenden Auflagen planen und umbauen können.“ Aber gleichzeitig war er sich bewusst, dass dieser Weg der richtige war, um Geschichte und architektonischen Wert des Gemeindehauses zu bewahren und ein beispielhaftes Statement für Umnutzung zu Setzen.
2. Philosophie der Sanierung – NachhaltigkeitGrundsätzlich ist die Umnutzung bestehender Gebäude eine der nachhaltigsten Arten zur Schaffung neuer Räume. Dabei ist entscheidend, die vorhandene Architektur zu nutzen, ohne diese in den Grundzügen zu verändern. Dies war bei der Planung im Fokus und so war der maximale Erhalt von Bausubstanz und Innenausstattung sowie die Begrenzung sämtlicher Maßnahmen auf das Nötigste das Ziel. Grundsätzlich wurde
darauf geachtet, das Gebäude nicht zu überfrachten, sondern sensibel mit dem Bestand umzugehen. Der Nutzung als Büroloft kam dabei zugute, dass schon bei der ursprünglichen Planung eine hohe Grundrissflexibilität der Räume vorgegeben war. Auf diese Vorgabe reagierten der damalige Architekt und Tragwerksplaner weitsichtig mit einem Stahlbetonskelettbau mit wenigen tragenden Mittelwänden, was sich jetzt als
Glücksfall erwies, da der vorhandene Raum effizient umgenutzt werden konnte. Den größten Eingriff in die Bausubstanz stellen die neuen Oberlichter dar, die notwendig waren, um genügend Tageslicht in den neuen Arbeitsraum zu bringen. Daniel Dahinten erläutert dazu: „Wir haben wenig verändert und vor allem Licht reingebracht. Alles was vorher da war, ist noch da und wurde in seinem Charakter verstärkt. Wir haben den
Bestand aufwendig gereinigt und ausgebessert um ihn zu erhalten und seiner neuen Nutzung zuzuführen.“
3. Gebäudeorganisation vor und nach UmnutzungDie Organisation des Gebäudes mit seiner Offenheit im Erdgeschoss lässt viel Raum für die jetzige Nutzung, wie auch für eventuelle zukünftige Nutzungen, sollte das Ingenieurbüro die Räumlichkeiten nicht mehr benötigen. Durch minimale Eingriffe blieb die Offenheit im Inneren erhalten und kann jederzeit wieder anders belegt werden. Dies kann durchaus auch wieder ein Gemeindehaus sein. Der ehemalige große Saal als Kernstück des Gebäudes genutzt für Zeremonien ist jetzt das Büroloft. Da die offene Struktur keinen Raum bot, um ungestört Besprechungen abzuhalten oder ganz in der Stille zu arbeiten, wurden im Zuge des Umbaus zwei raumhohe Glasschiebewände in das Büroloft eingezogen, um bei Bedarf zwei separate Räume abtrennen zu können. Die
Tranzparenz und Offenheit des Raumes bleibt dabei komplett erhalten. Ehemalige Räume im Erdgeschoss für Chor, Kinderbetreuung und Jugendarbeit werden von dem Ingenieurbüro als Personalraum und Einzelbüro genutzt. Die ehemaligen Wohnungen für Diakon und Kirchenmusiker im Obergeschoss bleiben weiterhin einer Wohnnutzung vorbehalten.
4. Solide Bausubstanz und Verbindung durch Transparenz (Räume) - LanglebigkeitDas Bauwerk zeichnet sich durch eine hohe Robustheit aus. Das von dem Münchener Architekten Hans-Busso von Busse bereits bauzeitlich als Gemeindehaus geplante Gebäude wurde in den Jahren 1968 und 1969 errichtet. Der Architekt entwickelte mit seinem Raumkonzept eine „Konglomerat-Architektur“, bei der die einzelnen Raum- und Nutzungsbereiche teilweise nahtlos ohne Erschließungsflächen ineinander übergehen.
Es entstand ein pragmatischer und gleichzeitig ästhetisch anspruchsvoller Entwurf sowie transparente Innenräume. So können der große und der kleine Saal, jetzt Büroloft und Küche mit Bar im Erdgeschoss mit einer Schiebetrennwand getrennt bzw. zusammengeschaltet werden. Ebenso lässt sich der Innenhof durch die verschiebbaren Fensterelemente dazuschalten. Zudem sind weitere Nebenräume, jetzt als Sozialraum und Einzelbüro genutzt, über den Hauptflur, wie auch über interne Durchgänge zugänglich, was das Raumkonzept positiv unterstreicht und erlebbar macht sowie eine besondere Intimität entstehen lässt. Insgesamt ergibt sich ein „kompositorisches Prinzip einander durchdringender Raumbereiche“ (Zitat Bewertung des BLfD), die in
einem angenehm transparenten Raumeindruck resultieren.
Das Tragwerk bildet eine Stahlbetonskelettkonstruktion mit Betonstützen, die mit Mauerwerkswänden ausgefacht sind. Die Außenwände sind ebenfalls in Mauerwerk realisiert. Dabei ist der Wandaufbau dreischalig gestaltet: Außen besteht das Mauerwerk aus Kalksandstein, dann folgt eine wärmedämmende Luftschicht und zum Innenraum hin wieder eine Kalksandsteinmauer, welche innen sichtbar belassen wurde und zum Charakter des Innenraumes beiträgt. Die Fassade wie auch das innen sichtbare Mauerwerk bestechen durch den warmen bräunlich-gelben Farbton des Kalksandsteins der Sichtmauerflächen, die sich farblich deutlich von den heute üblichen kaltweißen Kalksandsteine absetzen. Es wird vielmehr der Eindruck von bräunlichen Ziegeln erzielt.
5. Umbau Konstruktion und Oberflächen (Holz, Stein)Den konstruktiv größten Eingriff stellte der Einbau der Oberlichter dar, die mit aufgesetzten Holzbaurahmen realisiert wurden. Dabei wurde die Stahlbetonstruktur des Dachs erhalten. Lediglich die denkmalgeschützte Unterdecke wurde entfernt (und eingelagert) und die Seekieferplatten der Dachschalung aufgeschnitten. Was ursprünglich nur das Lichtproblem lösen sollte, hat sich als ausgesprochen positiv für den neuen Raumeindruck erwiesen: Sanft werden die Kalksandsteinwände des Bürolofts jetzt zusätzlich zu den vorhandenen Seitenfenstern durch die Belichtung von oben verstärkt beleuchtet. Der Entwurfsgedanke des seitlichen Lichteinfalls wurde erheblich intensiviert. Hier ist ein leichterer Raumeindruck entstanden, der zur guten Arbeitsatmosphäre im Raum beiträgt. Ein Schlitzen der Sichtmauerwerksflächen in dem Bereich des Bürolofts für die notwendigen Netzwerkkabel der Büronutzung konnte glücklicherweise vermieden werden, da es unterhalb der Bodenplatte ehemalige Lüftungskanäle gab, die keine Verwendung mehr hatten und die die neuen Elektrokanäle aufnahmen. Im Innenraum besticht darüber hinaus die neue Büroküche im ehemaligen kleinen Saal, die aus einem bauzeitlichen Wandschrank an derselben Stelle umgearbeitet wurde. In geschlossenem Zustand zeigt sich die Küche schlicht wie der ehemalige Wandschrank, in geöffnetem Zustand gibt sie den Blick auf Spülbecken, Arbeitsfläche und Regale mit Schubläden frei. Hierfür wurden die historischen Schranktüren und Schrankteilungsbretter aus dem Holz der Carolina Pine in Falttüren umgebaut inklusive einer neuen Schrankeinteilung. Auch hier wurde denkmaltechnisch und nachhaltig gedacht und außer für die Furniere der Schnittkanten kein neues Holz verwendet. Die Küche wird, im Stil passend dazu, durch eine neue Bar arrondiert, die als Einheit mit der Küche wahrgenommen wird. Als neues Einbauteil deutlich ablesbar ist dahingegen der neue Empfangstresen. Hier konnte auf keine vorhandene Struktur zurückgegriffen werden und so wurde das neue Möbel in einem eigenen schlichten Stil entworfen, abgesetzt vom Bestand und reversibel für eine mögliche zukünftige Umnutzung. Gleiches gilt für die Schränke und Bürotische des Ingenieurbüros. Weitere Sanierungsarbeiten im Inneren waren die Überarbeitung und Versiegelung der Parkett-Fußböden, das denkmalgerechte Reparieren von Wandfarben und der Neueinbau von zeitgemäßen Bädern mit Innendämmputz und neuen Wandfliesen und -farben. Die kleinformatigen Bodenfliesen der Bäder konnten erhalten werden.
Eine Herausforderung im Bereich des Innenhofs war die denkmalgerechte Sanierung der bauzeitlichen Pergola inklusive der statischen Nachrechnung, da die zu erhaltende Holzkonstruktion erheblich unter der Bewitterung im Laufe der Zeit gelitten hatte. Hierfür war ein kompletter Abbau der in weiten Teilen beschädigten Konstruktion und die Überarbeitung im Werk des Zimmermanns nötig. Der Brunnen, der sich ebenfalls in dem Innenhof befindet, wurde revitalisiert und das Wasserbecken mit farblich changierenden blau-grünen Mosaiksteinchen ausgestattet, die im Sonnenlicht glitzern und damit eine wunderbare Leichtigkeit ausstrahlen. Bauzeitlich war im Becken kein Mosaik nachgewiesen, jedoch am Brunnenkopf hatte es ein ein Mosaik gegeben, dessen Farbigkeit allerdings nicht bekannt ist. Des Weiteren wurden sämtliche Fenstergläser getauscht, während die historischen, sehr gut erhaltenen Fensterrahmen aufgearbeitet und wiedergenutzt wurden. Der Tausch der Scheiben war notwendig, da diese zwar doppeltverglast, aber ohne energetische Qualität und die Scheiben teilweise bereits blind waren.
6. Reinigung Kalksandstein + MaterialästhetikDie technisch aufwändigste Maßnahme im Zuge der Sanierung stellte die Reinigung und das Überarbeiten der Kalksandsteinwände der Außenwände dar. Hierfür wurden umfangreiche Versuchsreihen durchgeführt. Vergleichsweise einfach und mit einem etablierten Verfahren war hingegen das Reinigen der Innenwände. Hier wurde das Trockeneisstrahlverfahren, auch bekannt als Trockeneisreinigung oder CO2-Reinigung eingesetzt. Mit diesem Verfahren konnten die Oberflächen abrasionsfrei gereinigt werden, weshalb diese Methode auch im
Denkmalschutz genutzt werden kann.
7. Energetische EffizienzDie Wärmeversorgung des Gebäudes übernimmt eine neu eingebaute Pelletheizung, die über einen Pelletbunker im Untergeschoss versorgt wird. Auf dem Dach sind zwei Photovoltaikanlagen installiert, die in full-black ausgeführt wurden, um die Ansprüche des Denkmalschutzes zu erfüllen. Zwei Wallboxen werden von dem Strom der PVAnlage versorgt. Zur Erhöhung des Wohnkomforts wurde zudem eine Innendämmung in den Badezimmern eingebracht. Durch diese Maßnahmen können Denkmalschutz und Energieeffizienz vereinbart werden, so dass das Gebäude den Standard „Effizienshaus Denkmal“ erreicht.
8. Fazit der Umnutzung und SanierungDadurch, dass das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wurde, konnte nicht nur der Bestand konserviert werden, sondern in intensiver Absprache mit dem neuen Eigentümer und Bauherrn wurde das ehemalige Gemeindehaus vorbildlich denkmalgerecht saniert und für eine Büronutzung erschlossen. Die Erweiterung des
Lebenszyklus basiert maßgeblich darauf, dass der damalige Architekt besondere kompositorische Grundsätze von Einzelräumen und sich durchdringender Raumbereiche in seine Planung einfließen ließ, was im Zusammenspiel mit den Kalksandsteinoberflächen den besonderen Charakter des Gebäudes ausmacht.
Insgesamt macht die Geschichte der Umnutzung und Sanierung des ehemaligen Gemeindehauses deutlich, welche Herausforderungen ein Gebäude geringer Größe und jungen Alters bei der Sanierung mit sich bringen kann. Der erweiterte Lebenszyklus, die Identität schaffende Architektur und das lebendige Erbe machen diesen Weg auf jeden Fall zu einer lohnenden Entscheidung. Daniel Dahinten sagt stellvertretend für die neuen Nutzer des Gebäudes: „Geschichte und Potential ist genau was uns entspricht. Der Bestand und wir passen zu 100% zusammen.“ In diesem Sinne eine gelungene Sanierung und Umnutzung für das Gebäude und für die Nutzer.

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