Dr. med. SIEGFRIED WAHLE (1869 - 1941), Sanitätsrat, Ludwigstraße 9
Sein Medizinstudium an den Universitäten München und Erlangen schloss Wahle im Jahr 1893 mit seiner Dissertation „Ueber die Methoden der Craniometrie“ ab, in der er sich mit verschiedenen Anwendungen der Schädel- und Knochenvermessung auseinander setzte -tragischerweise ein wissenschaftlicher Ansatz, der auch von den Nationalsozialisten für rassenideologische Theorien instrumentalisiert wurde.
Am 27. März 1902 zog er um nach Bad Kissingen und wohnte hier zunächst in der Ludwigstraße 14. Bereits im Jahr 1905 ließ er sich für den drei Jahre zuvor in der Kurstadt gegründeten Liberalen Verein, einen Vorläufer der FDP, als Kandidat für die Landtagswahl aufstellen. Nach einem Umzug in die Kurhausstraße 4 war er vom 30. Mai 1913 bis zum 3. Oktober 1938 in der Ludwigstraße 3 (heute Nr. 9) gemeldet. Nach der Hochzeit mit Johanna Frank wurden am 5. Mai 1907 der Sohn Kurt und am 24. Oktober 1908 die Tochter Anna in Bad Kissingen geboren. Am 26. August 1921 verstarb Tochter Anna mit gerade einmal zwölf Jahren. Der Grieben Reiseführer „Kissingen und seine Umgebung“ führte Wahle 1935 als Generaloberarzt der Reichswehr und Sanitätsrat auf. Seine täglichen Sprechstunden in seiner Praxis Ludwigstraße 3 wurden in der Kurliste veröffentlicht. Im Jahr 1938 verließ er zusammen mit seiner Frau Bad Kissingen und bezog in Frankfurt am Main eine Wohnung in der Hamannstraße 21.
Wahle war Mitglied der Frankenloge XXXIV (34) in Würzburg, die der jüdischen Organisation U.O.B.B. (Unabhängiger Orden Bne Briss; dt.: „Söhne des Bundes“) nahe stand und sich für die Verbreitung von Wissen um die jüdische Religion einsetzte. Außerdem widmete er sich dem Abbau von Vorurteilen gegenüber Juden sowie der Förderung der Rechte von Juden und dem Verständnis des Judentums. Siegfried Wahle setzte sich nicht nur in seiner Eigenschaft als Arzt aktiv für Toleranz und Humanität im Umgang der Menschen untereinander ein. Nicht zuletzt seine Tätigkeit für den UOBB war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Aktivisten wie Siegfried Wahle wurde Volksverhetzung und Untergrabung der deutschen Staatlichkeit vorgeworfen.
Unter dem Druck der Nationalsozialisten versuchte Siegfried Wahle mit seiner Frau in die USA zu emigrieren, was jedoch mangels finanzieller Möglichkeiten und wegen strenger amerikanischer Visumauflagen scheiterte. Ein Jahr nach Wahles vergeblichem Versuch der Emigration in die Vereinigten Staaten starb seine Frau Johanna am 5. November 1940 in Frankfurt, wo sie auf dem Jüdischen Friedhof in der Eckenheimer Landstraße 238 ihre letzte Ruhestätte fand.
Dr. Siegfried Wahle bestieg am 22. November 1941 einen Deportationszug, dessen Ziel Riga in Lettland war. Nur drei Tage später erlag er im KZ Kauen im litauischen Kaunas den schweren Strapazen des Transports.
Stolperstein-Pate: Bayer. Staatsbad Bad Kissingen GmbH
Text: Tobias Schlör mit Schülern des Jack-Steinberger-Gymnasiums