OTTO GOLDSTEIN (1889 - 1933), Stadtrat und Textilkaufmann, Rathausplatz 1
Otto Goldstein war seit 1924 Mitglied des Kissinger Stadtrats. Bei seiner ersten Wahl in das Gemeindegremium bezeichnet er sich noch als „Neutraler“ – später ordnet er sich dem „Bürgerblock“ zu. Im Jahre 1930 wird Otto Goldstein mit massiven Vorwürfen sexueller Belästigung konfrontiert. Am 4. September 1930 erschien in der NS-Zeitung „Die Flamme“ (ein Kampfblatt der frühen NSDAP mit wechselnden Verlagsorten – Bamberg/Würzburg/Nürnberg – die wohl eher eine Beilage zu anderen Zeitungen war) ein entsprechend hetzender Artikel. Diese offensichtlich ungerechtfertigten Angriffe konnte Otto Goldstein juristisch abwehren.
Das bemerkenswerteste Dokument zum Stadtrat Otto Goldstein stellt sein Referat „Die städtische Finanznot – ihre Ursache und ihre Auswirkung“ dar, das er am 18. Oktober 1932 in einer öffentlichen Bürgerversammlung hielt. Die Saale-Zeitung mass diesem Referat so große Bedeutung zu, dass man eineinhalb Seiten der Zeitung für den Text zur Verfügung stellte. Wenn man den damaligen Satzspiegel der Saale-Zeitung berücksichtigt, ist dies der längste Artikel, der in dieser Zeit erschien.
Im April 1933 wurde Otto Goldstein zusammen mit Nathan Bretzfelder aus dem Stadtrat ausgeschlossen. In der Welt des aufkommenden Nationalsozialsozialismus war für ihn kein Platz mehr – so wie er es in seinem Abschiedsgedicht „Mein letztes Lied“ formuliert hatte. Gerade im Sommer 1933 kam es zu einer Vielzahl an Gesetzen und Verordungen mit dem Ziel, jüdische Mitbürger auszugrenzen. In dieser Phase kommt es auch zu einer ersten Welle an Selbstmorden von jüdischen Mitbürgern in Deutschland. Otto Goldstein beging am 23. August 1933 Selbstmord.
Stolperstein-Pate: Stadtratsfraktionen
Text: Thomas Künzl